Kurznachrichtendienst
Einleitung
In der Studie von Hoonakker, Carayon und Cartmill wurde der Einfluss von sicherer Messaging-Technologie auf den Arbeitsablauf in Hausarztpraxen untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass sichere Messaging die Kommunikation und Informationsflüsse verbessern kann, insbesondere durch die Möglichkeit der asynchronen Kommunikation. Allerdings kann es auch nachteilige Effekte haben, wie eine erhöhte Arbeitsbelastung, wenn Patienten ungeeignete Nachrichten senden. Kliniker sind ambivalent gegenüber dieser Technologie, da sie zusätzliche Aufgaben ohne entsprechende Vergütung mit sich bringen kann. Praxismitarbeiter sind im Vergleich zu Klinikern positiver eingestellt, und Patienten sind überwiegend sehr zufrieden mit sicherem Messaging. Die Umsetzung und der Gebrauch der Technologie sind entscheidend dafür, ob sie den Arbeitsablauf verbessert. (Hoonakker, Carayon, und Cartmill 2017)
Die Studie von Yakushi et al. analysierte die Nutzung sicherer Messaging-Dienste in den hausärztlichen Abteilungen von Kaiser Permanente Southern California (KPSC) im Jahr 2017. Sie zeigte, dass Patientinnen mit häufigen Arztbesuchen und Telefonterminen mehr E-Mails an ihre Hausärzte sendeten. Patienten mit chronischen Erkrankungen versendeten etwa dreimal mehr Nachrichten als andere. Frauen waren für fast zwei Drittel der Nachrichten verantwortlich, obwohl sie nur die Hälfte der Patientinnenschaft ausmachten. Nur etwa ein Viertel der Mitglieder nutzte das Messaging-System, wobei medizinischer Rat der häufigste Grund für Nachrichten war. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Verständnis der demografischen und klinischen Faktoren, die die Nutzung beeinflussen, entscheidend ist für die Entwicklung effizienter Personalmodelle und Nachrichtenverteilungsstrategien in der primären Gesundheitsversorgung. (Yakushi u. a. 2020)
Die Studie von Zhou et al. untersuchte den Einfluss des Zugangs zu einer elektronischen Patientenakte mit sicherer Nachrichtenübermittlung auf die Nutzung von Primärversorgungsdiensten in einer Region von Kaiser Permanente (KP). Die Ergebnisse zeigten, dass die jährliche Rate der Arztbesuche bei Erwachsenen um 6,7% bis 9,7% sank für Mitglieder, die das System nutzten. Außerdem erlebten diese Mitglieder einen geringeren Anstieg dokumentierter Telefonkontakte (16,2%) im Vergleich zur Kontrollgruppe (29,9%). Die Studie deutet darauf hin, dass sichere Nachrichtenübermittlung zwischen Patienten und Ärzten die Effizienz und den Zugang zu Gesundheitsdiensten verbessern kann, indem sie sowohl die Anzahl der Arztbesuche als auch den Bedarf an telefonischen Kontakten reduziert. (Zhou u. a. 2007)
In der Studie von Lieu et al. wurden die Erfahrungen und Strategien von Hausärzten zur Verwaltung elektronischer Nachrichten untersucht. Die Ergebnisse basieren auf Interviews mit 24 Hausärzten, die zeigen, dass die Verwaltung von elektronischen Nachrichten neue Stressoren geschaffen hat, insbesondere durch die Erwartung schneller Antworten von Patienten. Einige Ärzte entwickelten verschiedene Strategien zur Effizienzsteigerung, wie Multitasking und Delegation an medizinische Assistenten. Die Studie betont, dass Ärztinnen durch Wissensaustausch und Strategien für Nachrichtenmanagement unterstützt werden sollten. (Lieu u. a. 2019)
Die Meta-Analyse von Thakkar et al. (2016) untersucht den Einfluss von SMS-Interventionen auf die Medikamentenadhärenz bei chronischen Erkrankungen und zeigt, dass Textnachrichten die Wahrscheinlichkeit einer korrekten Einnahme nahezu verdoppeln (Odds Ratio 2,11). Für die ambulante medizinische Versorgung ist relevant, dass SMS-basierte Interventionen einfach, kostengünstig und skalierbar sind, wobei die Adhärenzrate von 50 % auf etwa 67,8 % steigt. Die Studie weist jedoch auf Limitationen hin, wie die kurze Dauer der Studien, die häufige Nutzung subjektiver Messmethoden und moderate Heterogenität, was langfristige Effekte und die optimale Gestaltung der Nachrichten offenlässt. Dennoch bietet die Methode ein vielversprechendes Werkzeug, um die Therapietreue in der ambulanten Praxis zu verbessern, insbesondere bei Patienten mit chronischen Krankheiten. (Thakkar u. a. 2016)
In der systematischen Übersichtsarbeit “Mobile technologies to support healthcare provider to healthcare provider communication and management of care” von Daniela C. Gonçalves-Bradley et al. werden die Auswirkungen mobiler Technologien auf die Kommunikation und Konsultation zwischen Gesundheitsdienstleistern im Vergleich zur üblichen Versorgung untersucht. In 19 randomisierten Studien mit über 5766 Teilnehmern, hauptsächlich aus Ländern mit hohem Einkommen, wurde festgestellt, dass mobile Technologien, wie Mobiltelefone, die Zeit zwischen Vorstellung und Behandlung verkürzen können, insbesondere wenn Primärversorger mit Spezialisten konsultieren (mittlere Evidenzsicherheit). Sie könnten auch die Wahrscheinlichkeit von Untersuchungen wie Retinopathie-Screenings bei Diabetikern erhöhen und Verweisungen an spezialisierte Einrichtungen bei bestimmten Hauterkrankungen reduzieren (mittlere Evidenzsicherheit). Es gab jedoch wenig Beweise für Auswirkungen auf die Lebensqualität der Patienten, die Zufriedenheit von Anbietern und Patienten oder die Kosten (niedrige Evidenzsicherheit). Technische Schwierigkeiten wurden selten berichtet, und die Evidenz ist aufgrund von Bias-Risiken und kleiner Stichprobengrößen begrenzt, was weitere Forschung in unterschiedlichen Kontexten erforderlich macht. (Gonçalves-Bradley u. a. 2020)
Bei der Studie „A digital platform to support communication and organization in the general practice: Evaluation of healthcare usage and costs using claims data of a health insurer“ von R.F. Willemsen et al. handelt es sich um eine retrospektive Beobachtungskohortenstudie. Sie untersucht die Auswirkungen einer digitalen Plattform zur Unterstützung von Kommunikation und Organisation in der Allgemeinmedizin auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen und die Kosten. Die Plattform ermöglicht Patienten unter anderem Online-Terminbuchungen, E-Konsultationen und Medikamentenwiederholungen. Anhand von Abrechnungsdaten einer Krankenversicherung wurden die Konsultationen und Kosten vor und nach der Einführung sowie im Vergleich zu einer Kontrollgruppe analysiert. Die Ergebnisse zeigen einen signifikanten Anstieg der Hausarztkonsultationen und -kosten nach der Implementierung, was teilweise auf verbesserte Zugänglichkeit der Versorgung zurückzuführen sein könnte. Die Studie betont das Potenzial solcher Plattformen, die Flexibilität für Ärzte und Patienten zu erhöhen, fordert jedoch weitere Forschung zu Langzeiteffekten und Arbeitsbelastung. (Willemsen u. a. 2024)
Kommunikation zwischen PatientInnen & Behandelnden
Die Kurznachrichtendienste zur Kommunikation zwischen PatientInnen und ÄrztInnen bieten sich verschiedene Möglichkeiten, können drei Gruppen zugeordnet werden. Diese Gruppe bieten ähnliche Funktionen unterscheiden sich aber in ihrer Historie, technischen Spezifikation und Sicherheitseigenschaft.
- PVS-integrierter Messenger:
- Tomedo: Arzt direkt - Diese Lösung ermöglicht eine direkte und sichere Kommunikation direkt innerhalb des PVS.
- T2med: Patmed - Eine weitere Option, die speziell für die Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten innerhalb des T2med-Systems entwickelt wurde.
- Externe Apps:
- Monks Praxis App - Diese App ist über den Google Play Store verfügbar und bietet eine benutzerfreundliche Oberfläche für die Kommunikation, unabhängig vom PVS.
- TI-Messenger:
- Ab Sommer 2025 wird der TI-Messenger ePA eine weitere Option sein, der für sichere und sektorenübergreifende Kommunikation zwischen Leistungserbringern und Patienten entwickelt wurde. (gematik GmbH 2025)
Matrix Protokoll
Das Matrix-Protokoll ist ein offenes Standardprotokoll für dezentrale, sichere Kommunikation im Internet, das sowohl für Chat- als auch für Voip-Kommunikation genutzt werden kann. In Deutschland hat die Telematikinfrastruktur (TI), die für die Digitalisierung des Gesundheitswesens verantwortlich ist, das Matrix-Protokoll zur Grundlage für den TI-Messenger gemacht. Der TI-Messenger ermöglicht eine sichere und interoperable Kommunikation zwischen verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen, wie Ärzten, Apotheken und Krankenkassen. Er basiert auf Matrix, um eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu gewährleisten und die Integration in bestehende Systeme zu erleichtern.
Übersichtstabelle
Software | Anbieter | URL | |
---|---|---|---|
0 | Siilo | Doctolib | siilo.com |
1 | AKQUINET TIM | Akquinet AG | akquinet.com |
2 | AMP.chat | Awesome Technologies GmbH | awesome-technologies.de |
3 | Famedly | Famedly GmbH | famedly.com |
4 | Gedisa | Gedisa GmbH | gedisa.de |
5 | samedi | samedi GmbH | samedi.de |
6 | x-tention | x-tention GmbH | x-tention.de |
7 | Threema | Threema GmbH | threema.ch |
8 | CONSIL!UM | Consilium GmbH | CONSIL!UM |
9 | Teamwire | Teamwire GmbH | Teamwire |
10 | LifeTime | LifeTime GmbH | LifeTime |
Quelle: u.a. (gematik GmbH 2025)
Software | Anbieter | URL | |
---|---|---|---|
0 | Garrio | Garrio GmbH | garrio.de |
1 | App zum Doc | helpwave GmbH | app-zum-doc.de |
Sicherheit Nachrichtenverkehr
Vergleich von Instant-Messaging-Diensten
Instant-Messaging-Dienste wie Signal und Threema setzen verschiedene Sicherheitsmaßnahmen ein, um die Kommunikation der Nutzer zu schützen. Signal bietet eine End-to-End-Verschlüsselung (E2EE) für alle Kommunikationen, Vorwärts-Sicherheit, und verwendet starke kryptographische Methoden wie Curve25519 und AES-CBC. Threema hingegen behauptet ebenfalls E2EE, jedoch nur mit Vorwärts-Sicherheit auf Client-Server-Ebene und ohne E2EE-Forward-Secrecy, was die Nutzung langfristiger Schlüssel problematisch macht. Beide Dienste sind sicherer als WhatsApp, wobei Signal im Vergleich zu Telegram und Threema die stärksten Sicherheitsgarantien bietet, während Threema zwischen Telegram und Signal rangiert, mit Schwächen in der Sicherheit, insbesondere bei der Abwehr von Replay-, Reflection- und Reordering-Angriffen. (Rösler, Mainka, und Schwenk 2018; Son u. a. 2022; Truong 2022; Boschini, o. J.; Brückner 2023; Paterson, Scarlata, und Truong 2023)
Vorwärts-Sicherheit
Vorwärts-Sicherheit (Perfect Forward Secrecy) ist ein Konzept in der Kryptographie, das besagt, dass die Kompromittierung eines Schlüssels in der Gegenwart nicht dazu führt, dass vergangene Kommunikation entschlüsselt werden kann. Das wird durch die Verwendung von Sitzungsschlüsseln erreicht, die für jede Kommunikationssitzung neu generiert werden und nach deren Beendigung verworfen werden. Diese temporären Schlüssel sind unabhängig von langfristigen Schlüsseln, wodurch sichergestellt wird, dass selbst wenn ein langfristiger Schlüssel kompromittiert wird, vergangene Sitzungen sicher bleiben.
Signal implementiert diese Sicherheitseigenschaft, indem es für jede Kommunikation eine neue Schlüsselpaarung generiert und diese nach der Sitzung löscht. Threema hingegen bietet diese Eigenschaft nur auf der Client-Server-Ebene, was bedeutet, dass die Vorwärts-Sicherheit in Bezug auf die End-to-End-Verschlüsselung nicht vollständig gegeben ist.
Replay-, Reflection- und Reordering-Angriffe
Bei einem Replay-Angriff fängt ein Angreifer eine legitime Nachricht ab und sendet sie später erneut, um eine unerwünschte Handlung auszulösen oder eine Aktion zu wiederholen, die bereits einmal autorisiert wurde. Zum Beispiel könnte ein Angreifer eine abgefangene Authentifizierungsanfrage wieder abspielen, um sich als berechtigter Benutzer auszugeben. Maßnahmen gegen Replay-Angriffe umfassen oft die Verwendung von Nonce (Nummer, die nur einmal verwendet wird) oder Zeitstempel.
In einem Reflection-Angriff nutzt der Angreifer die Struktur einer Nachricht, um sie zurück an den Absender zu spiegeln, oft in der Hoffnung, dass der Absender die eigene Nachricht als gültig akzeptiert. Dies könnte dazu führen, dass der Absender eine Aktion ausführt, die er nicht beabsichtigt hat, oder dass er eine Nachricht als gültig bestätigt, die er selbst gesendet hat. Eine Abwehrstrategie besteht darin, Nachrichten so zu gestalten, dass sie von der Quelle eindeutig unterscheidbar sind, zum Beispiel durch die Verwendung von unterschiedlichen Nonce oder Schlüsseln für Anfragen und Antworten.
Bei einem Reordering-Angriff werden Nachrichten, die in einer bestimmten Reihenfolge gesendet wurden, von einem Angreifer umgeordert und dann weitergeleitet. Dies kann dazu führen, dass die Empfänger eine falsche Abfolge von Ereignissen wahrnehmen oder dass Abhängigkeiten in der Nachrichtenverarbeitung gestört werden. Um dies zu verhindern, können Sequenznummern oder andere Mechanismen zur Nachverfolgung der Reihenfolge implementiert werden, die sicherstellen, dass Nachrichten in der richtigen Reihenfolge verarbeitet werden.
Diese Angriffe zielen darauf ab, die Sicherheitsprotokolle zu umgehen, die auf der Annahme basieren, dass Nachrichten in einer sicheren, unveränderten und chronologisch korrekten Reihenfolge empfangen werden.
End-to-End-Verschlüsselung (E2EE)
End-to-End-Verschlüsselung (E2EE) bezeichnet eine Methode der Datensicherheit, bei der Daten, die zwischen zwei Parteien ausgetauscht werden, nur von diesen beiden Parteien entschlüsselt und gelesen werden können.
E2EE erfordert, dass die Schlüssel zwischen den Kommunikationspartnern sicher ausgetauscht oder generiert werden. Dies kann durch Protokolle wie Diffie-Hellman-Schlüsselaustausch oder durch die Verwendung von Public-Key-Kryptographie geschehen.
Datenaustausch
„REDDOXX“ (https://www.reddoxx.com/) bietet E-Mail-Management und IT-Sicherheit, mit Fokus auf DSGVO-konforme E-Mail-Archivierung, Spam- und Virenschutz sowie einfacher E-Mail-Verschlüsselung ohne Zertifikatsaufwand, was den sicheren Austausch sensibler Patientendaten erleichtert. „DRACOON“ (https://www.dracoon.com/de/home) stellt eine Cloud-Plattform bereit, die für das Gesundheitswesen entwickelt wurde, und ermöglicht Praxen den datenschutzkonformen Austausch und die Speicherung medizinischer Daten, inklusive Zugriffskontrollen und mobiler Nutzung, um die Zusammenarbeit mit Kliniken oder Therapeuten zu optimieren. Beide Anbieter unterstützen Praxen dabei, Datenschutzvorgaben einzuhalten und Arbeitsprozesse effizienter zu gestalten.
Anonetics ist ein Hamburger Startup, das sich auf sichere digitale Dokumentenübertragung im Gesundheitswesen spezialisiert hat. Mit der Lösung anolink können Nutzer Dokumente schnell und DSGVO-konform über eine Blockchain- und Cloud-basierte Plattform versenden. Das Unternehmen zielt darauf ab, Systeme wie Faxgeräte zu ersetzen und Arbeitsabläufe in Kliniken, Apotheken und Praxen zu optimieren. Serverstandort ist Deutschland, und sensible Daten werden nur temporär gespeichert.
Forschung
Das Projekt TI-PAA implementiert von Juni 2024 bis Mai 2025 einen TI-konformen Instant-Messenger zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Hausarztpraxen, Apotheken und Pflegeheimen in Nürnberg. Ziel ist es, die bisherigen ineffizienten Kommunikationswege wie Telefon und Fax durch eine sichere, zeitsparende Alternative zu ersetzen und Handlungsempfehlungen für eine breitere Nutzung zu entwickeln. Erste Ergebnisse zeigen Potenzial, jedoch erschwert die fehlende TI-Anbindung der Pflegeheime die Umsetzung.
Projekte
Das Gesundheitsnetzwerk PORT ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Willingen, der sich der Verbesserung der regionalen Gesundheitsversorgung widmet. Ziel ist eine patientenzentrierte, langfristige Versorgung durch ein starkes regionales Netzwerk aus Fachleuten wie Ärzten, Pflegekräften und Therapeuten. Im Artikel „Gesundheitsnetz PORT: ‚Inzwischen sind wir von Unterversorgung weit entfernt‘“ der Ärztezeitung vom 10. August 2023 wird das regionale Gesundheitsnetzwerk beschrieben. Das Modell vernetzt 40 Leistungserbringen, verbessert die Versorgung in Nordhessen, lockt medizinischen Nachwuchs an und entlastet Ärzte. Das Netzwerk zeigt, wie regionale Kooperation die Unterversorgung überwinden kann, die lokale Gesundheitsversorgung entlastet und Nachwuchs in die Region zieht. (Böhm 2020)
Die medflex bietet eine Übersicht regionaler Gesundheitsnetzwerke, die Fachkräfte wie Ärzte, Therapeuten, Apotheker und Labore auf Landkreisebene über die digitale Plattformen vernetzt. Ziel ist es, den Austausch und die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen zu fördern. Digitale Technologien unterstützen dies durch sichere Kommunikation, effiziente Koordination von Überweisungen und Befunden sowie direkten Kontakt zu Kollegen.
Forschung Gesundheitsnetzwerke
Die Studie “The effect of provider affiliation with a primary care network on emergency department visits and hospital admissions” von Finlay A. McAlister und Kollegen untersucht den Einfluss von Primärversorgungsnetzwerken auf die Gesundheitsversorgung in Alberta, Kanada. Sie vergleicht die Ergebnisse von Erwachsenen, die zwischen 2008 und 2009 entweder in einem Primärversorgungsnetzwerk (1,5 Millionen Patienten) oder in konventioneller Primärversorgung (1,1 Millionen Patienten) betreut wurden. Primärversorgungsnetzwerke zielen darauf ab, den Zugang zu interprofessioneller, teambasierter Versorgung zu verbessern. Die Ergebnisse zeigen, dass Patienten in Netzwerken seltener die Notaufnahme aufsuchten (1,4 % vs. 1,7 % für bestimmte chronische Erkrankungen und 25,5 % vs. 30,5 % insgesamt), jedoch häufiger ins Krankenhaus eingewiesen wurden (0,6 % vs. 0,6 % für chronische Erkrankungen und 9,3 % vs. 9,1 % insgesamt). Insgesamt führte die Netzwerkversorgung zu 169 weniger Notaufnahmebesuchen und 86 weniger Krankenhaustagen pro 1000 Patientenjahre, was auf eine effektivere Primärversorgung hindeutet. (McAlister u. a. 2018)
Die Studie “A Practice-Proven Adaptive Case Management Approach for Innovative Health Care Services (Health Circuit)” von Carmen Herranz und Kollegen stellt Health Circuit vor, ein anpassungsfähiges Fallmanagement-Tool, das Gesundheitsfachkräfte und Patienten durch dynamische Kommunikationskanäle und patientenzentrierte Arbeitsabläufe unterstützt, um personalisierte, evidenzbasierte Interventionen umzusetzen. Ziel war es, den gesundheitlichen Nutzen, die Benutzbarkeit (mittels System Usability Scale, SUS) und Akzeptanz (mittels Net Promoter Score, NPS) zu bewerten. In einer cluster-randomisierten Pilotstudie (2019–2020) mit 100 Patienten mit hohem Krankenhausaufenthaltsrisiko (Studie 1) reduzierte Health Circuit Notaufnahmebesuche (13 % vs. 44 %), förderte die Patientenselbstbestimmung (P<.001) und zeigte gute Akzeptanz (NPS: 31, SUS: 54/100). In einer zweiten Beobachtungsstudie (2020–2021) mit 104 Hochrisikopatienten vor großen Operationen (Studie 2) erreichte es eine hohe Benutzbarkeit und Akzeptanz (NPS: 40, SUS: 85/100). Health Circuit zeigt Potenzial für eine wertschöpfende Gesundheitsversorgung und gute Nutzerakzeptanz, trotz Prototypstatus, was weitere Tests in realen Szenarien rechtfertigt. (Herranz u. a. 2023)
Die Studie “Key characteristics and critical junctures for successful Interprofessional networks in healthcare – a case study” von Shannon Sibbald und Kollegen untersucht die Erfolgsfaktoren eines kleinen, lokalen Primärversorgungsnetzwerks in Südwest-Ontario, Kanada, das das ARGI Respiratory Health Program implementiert hat. Mithilfe einer explorativen Fallstudie, basierend auf Fokusgruppen, Beobachtungen, Interviews und Dokumentenanalysen, wurden vier Schlüsselmerkmale identifiziert: ein wachstumsorientiertes Denken mit Fokus auf Qualitätsverbesserung, klare und stärkenbasierte Teamrollen, geteilte Führung und Erfolg sowie transparente Kommunikation. Zudem wurden fünf entscheidende Wendepunkte beschrieben: das Erkennen eines gemeinsamen Bedarfs, die Schaffung einer flexiblen gemeinsamen Vision, die Förderung von Empowerment, die Erlangung externer Anerkennung und der Nachweis des Erfolgs. Diese Erkenntnisse bieten wertvolle Lektionen für die Entwicklung und Implementierung ähnlicher Netzwerke, die interdisziplinäre Zusammenarbeit und verbesserte Patientenversorgung fördern.(Sibbald u. a. 2020)
Die Studie “eHealth for people with multimorbidity: Results from the ICARE4EU project and insights from the ‘10 e’s’ by Gunther Eysenbach” von Maria Gabriella Melchiorre und Kollegen untersucht die Implementierung von eHealth-Technologien in integrierten Versorgungsprogrammen für Menschen mit Multimorbidität in Europa. Im Rahmen des ICARE4EU-Projekts wurden 2014 101 Programme in 24 Ländern analysiert, von denen 85 eHealth-Tools nutzten, 42 speziell für ältere Menschen. Die Ergebnisse zeigen, dass eHealth die Versorgungsintegration, Lebensqualität und Kosteneffizienz verbessern kann, wobei unzureichende Finanzierung eine Haupthürde darstellt. Diese Befunde werden mit den „10 e’s“ von Eysenbach (z. B. Efficiency, Empowerment, Equity) verknüpft, die Vorteile wie Effizienz und Qualitätssteigerung sowie Herausforderungen wie ethische Fragen und Bildungsbedarf hervorheben. Die Studie unterstreicht das Potenzial von eHealth für die Versorgung von Multimorbidität und liefert Ansätze für zukünftige eHealth-Initiativen in Europa. (Melchiorre u. a. 2018)
Die Studie “Connecting Social, Clinical, and Home Care Services for Persons with Serious Illness in the Community” von Robyn L. Golden und Kollegen schlägt das Essential Care Model vor, um die medizinischen, psychologischen, kognitiven und sozialen Bedürfnisse älterer Menschen mit schweren Erkrankungen besser zu adressieren. Dieses Modell basiert auf integrierten biopsychosozialen Assessments, individuellen Versorgungsplänen mit gemeinsamen Zielen, einem teambasierten Ansatz über den gesamten Versorgungskontinuum hinweg und kontinuierlicher Qualitätsverbesserung. Es erfordert diverse, interdisziplinäre Teams mit Schulungen in Alterung und Zusammenarbeit, ein Netzwerk gemeindebasierter Organisationen (CBOs) für häusliche Dienstleistungen, eine elektronische Kommunikationsplattform und Zahlungsmodelle, die Teamarbeit fördern. Bestehende Modelle wie PACE oder GRACE zeigen Effektivität und Kosteneffizienz, doch systemische Hürden wie fehlende EHR-Interoperabilität und inadäquate Vergütung behindern eine flächendeckende Umsetzung. Die Studie betont die Notwendigkeit von Qualitätsmessungen, die Lebensqualität und Kosteneinsparungen berücksichtigen, um eine nahtlose Versorgung zu gewährleisten. (Golden u. a. 2019)
Die Studie “HÄPPI – Konzeption eines Modells für die ambulante Versorgung in Deutschland” von Simon Schwill und Kollegen entwickelt ein Modell für ein hausärztliches Primärversorgungszentrum (HÄPPI) mit einem interprofessionellen Team, um die Primärversorgung angesichts demografischer Herausforderungen zu stärken. In neun Workshops und durch Interviews mit Expert*innen aus verschiedenen Gesundheitsberufen wurden Chancen wie erweiterte, patientenzentrierte Versorgung und verbessertes Management chronischer Erkrankungen sowie Herausforderungen wie Dokumentation und Teamarbeit identifiziert. Das HÄPPI-Modell zielt auf ganzheitliche Betreuung durch Wissensaustausch, digitale Integration (z. B. Videokonsultationen) und Gesundheitskompetenzförderung ab, mit einer Anbindung an die hausarztzentrierte Versorgung (HZV). Es bietet eine schrittweise umsetzbare, zukunftsorientierte Lösung, erfordert jedoch Unterstützung bei Prozessmanagement und die Einbindung weiterer Gesundheitsberufe. (Schwill u. a. 2024)