Entwurf

Digitale Reife

Messung digitaler Reife

Ein zentraler Aspekt der Digitalisierung in Arztpraxen ist die Messung der digitalen Reife. Laut Teixeira et al. (2022) ist die digitale Reife sowohl auf individueller als auch systemischer Ebene erforderlich, um eine nachhaltige digitale Transformation im Gesundheitswesen sicherzustellen (Teixeira u. a. 2022). Digitale Reife-Modelle, wie sie von Rimmer et al. (2014) beschrieben wurden, bieten praktische Werkzeuge, um den Fortschritt in der Nutzung von Technologien zu bewerten und gezielte Verbesserungen zu identifizieren (Rimmer u. a. 2014; Neunaber und Meister 2023).

Die Studie „Digital maturity and its determinants in General Practice: A cross-sectional study in 20 countries“ untersucht die digitale Reife in der Allgemeinmedizin und deren Determinanten in 20 Ländern. Sie zeigt, dass männliches Geschlecht, längere Nutzung von elektronischen Patientenakten (EPA) und häufigerer EPA-Zugriff positiv mit der digitalen Reife korrelieren, während ländliche Praxisumgebungen eine negative Assoziation aufweisen. Die Nutzung digitaler Systeme ist die am häufigsten anerkannte Dimension (90 %), während Interoperabilität (47 %) und die Anwendung bewährter Evaluationsmethoden (28 %) Schwächen aufzeigen. Die Ergebnisse bieten Orientierung für gezielte Maßnahmen zur Förderung der digitalen Transformation in der Allgemeinmedizin. (Teixeira u. a. 2022)

Reifegradmodelle (Maturity Models, MM) basieren auf der Annahme, dass Individuen, Organisationen und Prozesse sich durch Entwicklungsphasen zu höherer Reife entwickeln. Im Gesundheitssektor sind zwei Hauptfaktoren für Investitionen in Gesundheitsinformationssysteme (HIS) verantwortlich: die zunehmende Belastung durch chronische Krankheiten und die Notwendigkeit, die Qualität und Sicherheit der Gesundheitsversorgung erheblich zu verbessern. (Gomes und Romão 2018)

Obwohl über 95% der Hausarztpraxen im NHS computerisiert sind, nutzen viele die Technologie nicht effektiv. Das General Practice Information Maturity Model (GPIMM), inspiriert von Modellen aus der Softwarequalität und Innovationsdiffusion, definiert fünf Reifegrade des Informationsmanagements, von papierbasierten Systemen bis hin zu vollständig papierlosen Praxen. Gillies betont die Bedeutung von Schulungen und strategischen Informationsinitiativen, um die Entwicklung der Praxen zu fördern, und den Übergang von einem technologiezentrierten zu einem informationszentrierten Ansatz zu unterstützen. (Gillies 2000)

In dem Artikel “Maturity assessment models: a design science research approach” untersucht Tobias Mettler die Entwicklung und Anwendung von Reifegradbewertungsmodellen in sozialen und technischen Systemen. Er identifiziert häufige Kritikpunkte wie übermäßige Bürokratie, mangelnde theoretische Fundierung und die trügerische Sicherheit, die solche Modelle vermitteln können. Mettler schlägt einen Design-Science-Forschungsansatz vor, um die typischen Phasen der Entwicklung und Implementierung solcher Modelle zu analysieren. Dabei betont er die Bedeutung von Entscheidungsparametern, die sowohl für die wissenschaftliche Strenge als auch für die praktische Relevanz des Modells entscheidend sind. Ziel ist es, ein besseres Verständnis für die Gestaltung theoretisch fundierter und praxisnaher Reifegradmodelle zu schaffen. (Mettler 2011)

In der Literaturübersicht “Maturity Models of Healthcare Information Systems and Technologies: a Literature Review” von João Vidal Carvalho et al. werden verschiedene Reifegradmodelle für das Management von Informationssystemen und -technologien im Gesundheitswesen untersucht. Die Autoren identifizieren und vergleichen 14 relevante Modelle, darunter das Quintegra Maturity Model für elektronische Gesundheitsversorgung und das Healthcare IT (HIT) Maturity Model von IDC Health Industry Insights. Jedes Modell wird hinsichtlich seiner Entwicklungsmethodik, Validierung, Umfang, Phasen und Merkmale in Bezug auf Dimensionen oder Einflussfaktoren beschrieben. Die Ergebnisse der Analyse verdeutlichen die Notwendigkeit, ein umfassendes Reifegradmodell zu entwickeln, das einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt und eine breite Palette von Einflussfaktoren berücksichtigt, um alle Bereiche und Teilsysteme von Gesundheitseinrichtungen zu integrieren. (Carvalho, Rocha, und Abreu 2016)

Die Studie “A Patient-Centered Framework for Evaluating Digital Maturity of Health Services: A Systematic Review” von Flott et al. (2016) zielt darauf ab, Methoden und Metriken zur Bewertung der digitalen Reife im Gesundheitswesen zu identifizieren und ein evidenzbasiertes Bewertungsinstrument zu entwickeln, das den gesamten Patientenpfad berücksichtigt. Die Autoren führten eine systematische Literaturübersicht durch, um geeignete Bewertungsmethoden und Indikatoren für digitale Reife zu ermitteln. Sie entwickelten daraufhin ein Bewertungsframework, das digitale Reife in verschiedene Stufen unterteilt und spezifische Metriken für jede Stufe definiert. Dieses Framework ermöglicht eine umfassende Bewertung der digitalen Reife von Gesundheitsdiensten über den gesamten Patientenpfad hinweg. Die Ergebnisse der Studie bieten einen strukturierten Ansatz zur Bewertung der digitalen Reife im Gesundheitswesen und unterstützen die Identifizierung von Bereichen, die verbessert werden müssen, um eine patientenzentrierte Versorgung zu fördern. Das entwickelte Framework kann als Leitfaden für die Implementierung und Bewertung digitaler Gesundheitsinitiativen dienen. (Flott u. a. 2016)

Die Arbeit von Cresswell et al. beschäftigt sich mit der Notwendigkeit, dass Gesundheitssysteme digital unterstützt werden, um sich kontinuierlich zu verbessern, und hebt hervor, dass groß angelegte digitale Transformationsinitiativen oft Schwierigkeiten haben, nationale Prioritäten mit lokalen Bedürfnissen in Einklang zu bringen. Er betont das Engagement des Vereinigten Königreichs mit 595 Millionen Pfund im Rahmen des Global Digital Exemplar (GDE) Programms, das darauf abzielt, digital herausragende NHS-Organisationen zu fördern. Trotz der weit verbreiteten Nutzung des HIMSS Electronic Medical Record Adoption Model (EMRAM) kritisieren die Autoren den engen Fokus auf technologische Funktionalitäten und Fortschrittsstufen, da dieser nicht die menschlichen und organisatorischen Faktoren oder integrierte Versorgungsmodelle berücksichtigt. Die Autoren schlagen ein neues, flexibleres Modell zur Bewertung der digitalen Reife vor, das eine lokale Anpassung und eine kontinuierliche Neubewertung der Ziele ermöglicht. Dadurch wird sichergestellt, dass die digitale Transformation mit den lokalen Bedürfnissen übereinstimmt und nicht nur auf das Erreichen bestimmter technologischer Meilensteine fokussiert ist. Dieser Ansatz ist entscheidend, um sinnvolle Verbesserungen im Gesundheitswesen zu erzielen, insbesondere im Hinblick auf die Gesundheit der Bevölkerung, Kostensenkung, Patientenerfahrungen und die Work-Life-Balance der Gesundheitsdienstleister. (Cresswell u. a. 2019)

Die Studie von befasst sich mit der Messung der Selbstbeurteilung von Ärzten zur Kompetenz im Umgang mit elektronischen Patientenakten (EPAs), einem Konzept, das als „EMR-Reife“ bezeichnet wird. Die Forschung zielt darauf ab, ein validiertes Modell zur Messung der EMR-Reife von Ärzten in der Gemeinde zu entwickeln und zu validieren. Ziel ist es, die Fortschritte der Ärzte über die reine Einführung von EPAs hinaus zu messen und zu verstehen, was zur Reife des EMR-Einsatzes beiträgt. (Chong u. a. 2020)

Die Methode basierte auf einem in Ontario geförderten EMR-Einführungsprogramm. Ein auf einem Krankenhausmodell basierendes Reifegradmodell wurde für Gemeinschaftspraxen angepasst. Ein Umfrageinstrument wurde entwickelt, das dann von Experten und Beteiligten überprüft wurde. Die Ergebnisse bestätigten die Gültigkeit des Modells und seine Akzeptanz durch die Zielgruppe.

Neunaber et al. untersuchten die Messung der digitalen Reife in allgemeinärztlichen Praxen. Mittels explorativer, qualitativer Forschung und 20 Experteninterviews wurden sechs Dimensionen und insgesamt 26 Unterkategorien identifiziert. Vier dieser Dimensionen (mit 16 Unterkategorien) wurden direkt mit der digitalen Reife in Verbindung gebracht: “digital unterstützte Prozesse”, “Praxispersonal”, “organisatorische Strukturen und Regeln” sowie “technische Infrastruktur”. Zwei weitere Dimensionen (mit 10 Unterkategorien) wurden induktiv ermittelt: “Nutzen und Ergebnisse” und “externe Rahmenbedingungen”. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass digitale Reife ein multidimensionales Konstrukt ist, das menschliche, organisatorische und technische Faktoren umfasst. Für eine präzise Messung der digitalen Reife in der ambulanten Versorgung sollten Reifegradmodelle vielschichtig sein und externe Einflussfaktoren berücksichtigen. Zukünftige Forschung sollte die identifizierten Dimensionen statistisch validieren und die Zusammenhänge zwischen den Messdimensionen und ihren Unterkategorien analysieren. (Neunaber, Mortsiefer, und Meister 2024)

Die Studie “Big 5 personality traits and individual-and practice-related characteristics as influencing factors of digital maturity in general practices: quantitative web-based survey study” untersucht die digitale Reife in Allgemeinpraxen und deren Zusammenhang mit den Merkmalen von Allgemeinärzten, insbesondere deren Persönlichkeit. Durch eine webbasierte Umfrage mit 219 Allgemeinärzten wurde eine moderate digitale Reife (Mittelwert 3,31) festgestellt, die signifikant mit Geschlecht, erwarteter zukünftiger Nutzung digitaler Gesundheitslösungen, wahrgenommener digitaler Affinität von Praxismitarbeitern, digitaler Affinität der Ärzte sowie Extraversion und Neurotizismus assoziiert ist. Eine Regressionsanalyse zeigte, dass höhere Erwartungen an die zukünftige Nutzung, höhere digitale Affinität von Ärzten und Mitarbeitern sowie geringerer Neurotizismus signifikante Prädiktoren für die digitale Reife sind. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung gezielter Ansätze zur Förderung der Digitalisierung in Allgemeinpraxen unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsmerkmale der Ärzte. (Weik u. a. 2024)

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